H. H. HADWIGER:

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EINE BESESSENHEIT DANACH

Die Anleitung:

Falls Sie Auszüge oder der ganze Text interessieren, klicken Sie, bitte, direkt auf die Überschrift. Falls Sie nur der Inhalt interessiert, lesen Sie das Exposé; bedenken Sie dabei aber, dass Sie damit auch schon die Schlusspointe kennen.


EXPOSÉ

Von zwei Ideen ist der Literat geradezu besessen: Er möchte einerseits seinen ersten Roman: „GESCHICHTE ÜBER DIE GESCHICHTE VON DER GESCHICHTE ÖSTERREICHS“ beginnen, fortsetzen und möglichst beenden, überzeugt, dies nur in der Toskana, weitab von seinem Linzer Lebenskreis, in dem ihn alles ablenkt, verwirklichen zu können. Andererseits machen ihn – er ist Witwer, seine Kinder studieren in Wien – Begierde und Begeisterung, Begehrlichkeit, Lüsternheit, ja Weibstollheit aus eitler Selbstbestätigung zum Jäger jüngerer Frauen. Diese Störung entspringt der Sehnsucht, nach mancherlei Liebschaften eine Frau zu finden, die ihm ehrlich zugetan ist und die auch er lieben kann, was ihm bisher nie recht gelang.
Die Erfüllung dieses zweiten Wunsches projiziert er in die vierzigjährige, mit dem Hochschulprofessor für Ägyptologie Felix verheiratete Beatrix, Mutter zweier Kinder, die nun nach deren Abitur Bildhauerei in der Meisterklasse bei Prof. Hrdlicka in Wien studiert. Bei einer Ausstellung Hrdlickas lernen die beiden einander kennen. Beatrix erwähnt, in Kürze in der Toskana an einer Marmorskulptur für ihr Bildhauerdiplom zu arbeiten.
Der Literat sieht seinen ersten Wusch, in der Toskana seinen Roman zu schreiben, schicksalhaft sich erfüllen und lädt sich selbst in Beatrix’ kleine Wohnung in Pietrasanta, dem Mekka der Bildhauer, ein. Beatrix glaubt nicht, daß er kommen werde.
Tatsächlich scheint sich alles gegen des Literaten Pläne zu stellen: Sein Auto erleidet einen Motorschaden, der erst nach dem 1.Mai-Feiertag behoben werden kann; zwei seiner Freundinnen bedürfen des Rechtsbeistands; Liebesabenteuer, die Erinnerung daran und an sein gescheitertes Bemühen um Zora, die Nichte seiner Jugendliebe Marie, und um Heike, die Freundin Maries, verzögern die Abfahrt immer wieder.
Typisch österreichische Schwächen und Eigenheiten, moderne Architektursünden, das Überhandnehmen von Kreisverkehren selbst am Lande, die Sucht nach akademischen Titeln oder ihr Erheiraten, scheinheilige Wunderwallfahrten, das Erscheinen eines Kometen entgegen dem Nichterscheinen des Buches des Literaten, die Bestattungstradition in Wien, die Voraussicht auf die totale Sonnenfinsternis vom 11. August 1999, Ansfeldens Prägung durch Anton Bruckner und die knapp zurückliegende Millenniumsfeier Ostarrichis (1996) beschäftigen den Literaten bei der Vorbereitung seines Erstromans, mit dessen Materialien in Bananenschachteln er eines Nachts, um nicht von Beatrix’ Nachbarinnen gesehen zu werden, in Pietrasanta eintrifft.
Beatrix, voller Liebe für ihren Mann, den bisher ersten und einzigen, und in ständiger Angst, etwas falsch zu machen oder gegen gesellschaftliche Normen zu verstoßen, überläßt dem Gast nur unter der Bedingung ein Zimmer, daß er dort schreibe und sich unter keinen Umständen außerhalb der Wohnung blicken lasse, um sie nicht zu kompromittieren. Den Poeten erwartet ein Gefängnis. Seine Gastgeberin gibt ihm strenge Verhaltensregeln, worüber er sich nur anfänglich lustig macht. Sie besteht darauf, daß er während seines Aufenthaltes, selbst wenn sie auswärts im Atelier arbeite, sein Zimmer nicht verlasse noch sich am Fenster zeige noch Kartengrüße versende.
Ein Erdbeben beschädigt gerade dieses Zimmer und zwingt die keusche Beatrix, ihr Bett mit dem Literaten zu teilen, der sich mittlerweile – anstatt über die ersten Seiten seines Romans hinauszukommen, in dem ein Richter einem Tabaktrafikanten erzählt, ein Geschichtsgymnasialprofessor habe ihn gebeten, die bewegte Geschichte Österreichs im Lichte höherer Gerechtigkeit zu beurteilen, ehe er – auf welche Art, wußte der Literat selbst noch nicht – die (längst abgeschaffte) Todesstrafe erlitte – so sehr in Beatrix verliebt hat, daß er sich davon auch die Erfüllung seiner sexuellen Wünsche verspricht, sich der korrekten, wenn nicht prüden Frau jedoch nicht zu erklären wagt.
Obwohl sie ihm eine Schlaf- und Ankleideordnung vorschreibt, beobachtet sie der Literat heimlich beim Ausziehen und träumt ausschweifend. Erst wenn sie schläft, kommt er ihr näher, auf die seine Erregung steigernde Gefahr hin, sie durch seine mehr und mehr gewagten Berührungen zu wecken.
Er kostet es beim Anlegen eines Kopfverbandes, womit Beatrix den Bauarbeitern vortäuscht, er sei ihr Ehemann Felix und durch das Erdbeben am Kopf verletzt worden, besonders aus, an ihren Busen gedrückt zu werden. An ihn gelehnt, darf er einschlafen.
Bald hat Beatrix den Literaten durchschaut; daher betont sie, an Sex mit ihm nicht interessiert, vielmehr ihrem Mann treu zu sein. Darauf trinken die beiden. Die trunkene Schläferin liebkost der Literat mit Fingern und Zunge. Das beflügelt sein Schreiben am Roman. Daraus liest er abends Beatrix im Bett so lange vor, bis sie einschläft. Mit steigender Begierde tastet er sie ab, da er seine Aussicht auf ihre Eroberung allmählich schwinden sieht.
Nach Tagen ist der Schaden an seinem Zimmer behoben, in das er trotz List zurückkehren muß. Alsbald schleicht er nachts an Beatrix’ Bett, um sich zu erregen, bis er auf die noch Wache trifft. Er redet sich darauf aus, nur ein Wörterbuch zu holen, das er eigens dafür in Beatrix’ Schlafzimmer zurückgelassen hatte. Beim nächsten Versuch findet er die Zimmertür versperrt vor. Hat Beatrix seine Annäherung mitbekommen? Oder geschah dies nur aus jener Übervorsicht, mit der sie ihn auch beharrlich vor den Nachbarinnen versteckt? Besonders Theresa – über 80, zwar herzkrank und bettlägerig, aber ständig am Fenster zum Gang – fürchtet sie, zumal diese von einem Bauarbeiter erfahren hat, Felix, der sonst bei jedem Besuch zu ihr kommt, sei dagewesen. Theresa vermutet dahinter einen Liebhaber und verlangt für ihr Schweigen Grappa. Beatrix könnte ihr den Tod wünschen!
Der Literat hat sich einen Zweitschlüssel beschafft und verläßt die Wohnung, um die Erpresserin Theresa auszukundschaften.
Die einengende Gefangenschaft, die erzwungene Enthaltsamkeit und die fortdauernde Abweisung durch Beatrix wiegen für den Literaten so schwer, daß er tagsüber statt am Roman nur mehr an Aufzeichnungen über sein Befinden schreibt und nachts – ein bisher meist Ungezügelter! – den Entzug umso schmerzlicher empfindet, bis er sich dazu versteigt, sich (mit Beatrix’ Stola getarnt) in die unversperrte Wohnung der Alten auf- und sich über Theresia sexuell herzumachen.
Die Alte erwacht, schreit, die Stola erstickt ihren Schrei, erstickt sie. Der Literat flieht in Panik, die Stola zurücklassend.
Deshalb wird Beatrix unter Mordverdacht festgenommen; indes, der Literat bleibt unentdeckt. Nun muß er verschwinden.
Er sucht Beatrix (in Untersuchungshaft) auf, die meint, er habe den Mord „ihr zuliebe“ begangen, um die gefährliche Schwätzerin mundtot zu machen. Er rät ihr zur Verantwortung, sie sei kurz davor von einem Fremden überfallen, vergewaltigt und mit dem Tod bedroht worden, sollte sie ihn anzeigen (weshalb sie in der Voruntersuchung vorerst geschwiegen habe). Dieser Fremde habe offenbar – unter Mitnahme ihrer Stola – die Alte erstickt. Beatrix möge auf einem DNA-Test des Tuches und anderer vom Literaten in ihrer Wohnung hinterlassener Spuren bestehen, die bewiesen, daß ein und derselbe Täter am Werk gewesen wäre.
Danach flieht der Literat auf die Insel Ischia. Er erinnert sich vergangener Liebesabenteuer, um den Mord zu verdrängen.
Beatrix wird nach Erweis ihrer Unschuld enthaftet. Aus Angst vor Gerede und Gerüchten in ihrer Umgebung in Pietrasanta kehrt sie nach Österreich zurück, um nach dem Literaten zu suchen, dessen Liebe sie jetzt verklärter sieht.
Der Literat macht sich späte Vorwürfe, der Schänder und Mörder der Alten zu sein. Er sucht nur noch die ehemalige Geliebte Jutta in ihrer Ferienwohnung in der Toskana auf, um einmal noch all das in den letzten Wochen Versäumte nachzuholen und seine Besessenheit nach jüngeren Frauen auszuleben, ehe er sich stellt und für Jahre hinter Gitter geht!
Er kehrt nach Pietrasanta zurück. Von der Bar Michelangelo aus nimmt er sein vierwöchiges Gefängnis im Haus gegenüber wie zum Abschied bewußt wahr. Dabei macht er die Bekanntschaft eines achtzehnjährigen Mädchens, von dem er glaubt, es heiße (wegen eines auf ihrer Arbeitsmappe angebrachten Schildes) Minou. Sie zeigt ihm über seinen Wunsch das Atelier, in dem Beatrix tagsüber immer gebildhauert hatte, der Frage, ob sie diese vielleicht selbst gekannt habe, ausweichend.
Der Literat verliebt sich in Minou und folgt ihr, die mit zwei Freundinnen in Pietrasanta eine Tanzschule besucht, erst nach Florenz zu einem Seminar, dann nach Nizza, wo sie wohnt. Dort schreibt er endlich wieder am Roman und erlebt von neuem den beseligenden Zustand, nicht nur geliebt zu werden, sondern auch selbst uneingeschränkt zu lieben, woran ihn die oberflächlichen Liebschaften nach dem Tod seiner Frau bislang gehindert hatten.
Das Mädchen läßt ihn allein zurück und fährt für einige Tage nach Pietrasanta zum Tanzkurs. Überraschend kommt eine junge Französin in die Wohnung, die behauptet, diese sei ihre und sie heiße Minou; sie habe ihrer Freundin Regine bloß hier zu wohnen erlaubt. Beim Suchen von Studienunterlagen läßt Minou zwei Briefe und einen Zeitungsartikel auf dem Schreibtisch liegen.
Der Literat muß ratlos erkennen, daß seine Geliebte in Wahrheit Regina, die Tochter seiner ehemaligen Gastgeberin Beatrix, ist und ihn offenbar bewußt zum Freund ausgewählt hat. Zur Rache? Aus Liebe? Warum hat sie sich nicht zu erkennen gegeben?
Durch den Zeitungsartikel, der Theresas Tod behandelt, erfährt der Literat, daß die Alte – wie erst die Obduktion ergeben hat – einem Herzinfarkt erlegen war.
Er grübelt über die Strafe für Schändung und schwere Nötigung. Ein Brief der Mutter an die Tochter Regina verrät ihm, daß sich Felix von Beatrix getrennt hat, da Zeitungsmeldungen über ihre Haft seinem Ruf als Professor geschadet hätten. Nun wäre sie für den Literaten frei, dessen Hingabe für sie ihr erstmals Dank und Verständnis abverlangt.
Zu spät! Der Literat hat sich – wovon Beatrix nichts ahnt – für ihre Tochter entschieden!
Daran ändert auch nichts, daß sich Regina – aus welchem Grund auch immer – ihm gegenüber verstellt hat.

 

 

Zur STRUKTUR des ROMANS:

Die Geschichte verläuft in mehreren Erzählebenen. Als Rahmen dienen die anfangs noch abstrakt anmutenden Aufzeichnungen des Literaten, eine Selbstbezichtigung in Ich-Form, über eine Schuld, die er auf sich geladen habe, dann über die mit dem Mädchen Minou in der Liebe gefundene Übereinstimmung, wie er sie in Pietrasanta (dem Tatort, von dem noch niemand weiß, welche Tat dort begangen worden sein mag) und Nizza erlebt hat. Danach werden in der dritten Person die Fixiertheit des Literaten auf seinen Erstroman, seine verlorengegangene Orientierung in der Beziehung zu jungen Frauen (in Rückblenden) wie all die Hindernisse, die er sich dabei selbst bereitet und die sich ihm entgegenstellen, aufgezeigt.
Des Literaten fruchtlose, ja furchtbare Annäherung an Beatrix, deren Lebensgeschichte davor eingeflochten ist, und die damit einhergehende Entfernung von seinem Roman (fünf von elf Kapiteln in der Ich-Form der Aufzeichnungen des Literaten) führen in eine ausweglose Situation, die in den vermeintlichen Mord mündet, den Beatrix zu ihrem Vorteil als Ausdruck der (mittlerweile erloschenen) Liebe des Literaten deutet. Dieser ist erst nach weiteren Ab- und Ausschweifungen bereit, dafür die Verantwortung und die Strafe auf sich zu nehmen. Als er dazu nach Pietrasanta zurückkommt, tritt Minou dazwischen.
Die Aufzeichnungen des Literaten in Nizza über die gemeinsame Liebe schließen den Erzählrahmen. Ein letzter Wechsel der Erzählperspektive in die dritte Person bringt Klärung über den Tod Theresas. Der Literat entscheidet sich für Regina, obwohl er noch nicht recht weiß, was und wohin sie will; offen bleibt seine doppelte Besessenheit.