Am 24.3. im Wissensturm in Linz zum „Linzer Frühling“:“Halb zog…“
(= Nacht der schlechten Texte. Dieser Text wurde 2010 von den Veranstaltern in Villach in einer Anthologie veröffentlicht und ist auch auf der dort beiliegenden CD zu hören, siehe Bibliografie!)

AUF TAKT
(in freien Rhythmen)

Jeden Morgen
erwache ich
zur gleichen Zeit.
Das liege
an meinem Biorhythmus,
belehrte mich mein Freund,
der Pharmakologie-Student.
Rhythmus hin und Rhythmus her,
ich liege noch
ein paar Minuten
wach im Bett,
bis mein Wecker läutet:
„Brrrr…brrr…brrr…brrr“,
immer
im gleichen Rhythmus.
Schliefe ich noch,
risse er mich
aus dem Schlaf,
ich versuchte
benommen aufzukommen,
schüttelte mich:
„Brr…brr…brr“, wie im Takt,
langte nach dem Wecker,
unterbräche sein rhythmisches Geläut.
Das wär noch schlimmer!
Aber auch heut –
wie immer –
bin ich schon wach,
greif einfach flach
hinüber und bringe
den Brummer zum Schweigen.
Mir ist glücklicherweise
ein Biorhythmus eigen!
Drum springe ich
aus dem Bett und hetze
ins Badezimmer:
Kopf unters Wasser,
einmal, zweimal, dreimal!
Wenn ich nicht davor
schon munter wäre,
jetzt würde ich ’s!
Das ist meines Tages Auftakt.
Morgentoilette:
Gleichmäßige Wiederkehr eingeschliffener Vorgänge.
Ich greif zur Zahnbürste,
einer elektrischen,
die gleichtönig lossurrt:
Die oberen Zähne,
rechts, Mitte, links, jeweils fünfmal.
Der Unterkiefer,
rechts, Mitte, links, jeweils fünfmal.
Da capo!
Ein weiteres Mal
je fünfmal oben und unten.
Jetzt gurgeln:
Viermal, dann ausgespuckt;
nochmals viermal:
Ich gurgle
als sänge ich eine Arie,
nicht ganz so schön,
aber im Dreivierteltakt!
Alles ausspucken,
dreimal nachspülen!
Zur Toilette:
Sechsmal gezielt in die Muschel,
taktlos, im Rhythmus des Harnstrahls.
Anziehen: Kleidungsstück
um Kleidungsstück.
Kaffe aufsetzen:
Das heiß werdende Wasser gluckst
in einem fort in den Filter,
tropft als Kaffee in die Glaskanne darunter:
fortan im gleichen Takt.
Ich gieße mir den Kaffee
in die Tasse und trinke davon,
Schluck für Schluck,
in kleinen Schlücken.
Das Brot ist von gestern,
nicht mehr so resch.
Ich stecke eine Scheibe in den Toaster.
Er macht klack,
und das Brot springt heraus,
noch nicht so knusprig, wie ich es möchte.
Noch einmal hinein
und klack. Beim dritten Klack
ist es gut geröstet.
Ich kaue
im Gleichmaß meiner Kinnladen:
auf und ab, hin und her, rauf und runter.
Ich sollte jeden Bissen
einundzwanzigmal kauen,
zigmal zer-mal-men,
hat mir meine Ernährungsberaterin
eindringlich bissig geraten,
aber so oft
schaff ich es nicht.
Im Zweivierteltakt komme ich
gerade auf sechzehnmal.
Ein Blick auf
die Pendeluhr im Wohnzimmer,
die geht ganz genau
und tickt ziemlich laut:
Ticktack, ticktack, ticktack.
Als wäre ihr Ticktack ihre Taktik.
(Wäre ich Musiker,
ich brauchte kein anderes Metronom.)
Es ist höchste Zeit,
zum Bus zu laufen.
Ich packe
mich und meine Aktentasche zusammen
und renne los:
Fuß vor Fuß,
Schritt für Schritt,
gleichmäßig schneller werdend: im Laufschritt.
An der Bushaltestelle
stehen schon einige an:
Angestellte!
Arbeiter gleichfalls.
Als der Bus einfährt
und die Klapptüren aufspringen: plack –
setzt die Drängelei ein.
Die Leute haben keine Manieren,
weder Anstand noch Takt.
An Wohlerzogenheit und Zurückhaltung
Mangelt ’s den meisten.
Ich komm in die Mangel:
Schubartig, Stoß um Stoß,
werd ich ins Inn’re bugsiert.
Die pneumatische Tür
hebt dreimal an: plack – zisch,
plack – zisch, plack – zisch.
Beim vierten Mal hat sich
der eingeklemmte Fahrgast hereingerettet: Plack!
Der Bus schaukelt los, gleichmäßig beschleunigt.
Jede Station wird durch eine Stimme
vom Tonband angekündigt, die
die Namen skandiert:
Pe-ters-platz, Kärnt-ner-stra-ße,
Rech-te Wien-zei-le, Ket-ten-brü-cken-gas-se,
Stadt-bahn-sta-ti-on-Pil-gram-stra-ße,
Rein-prechts-tor-fer-stra-ße, Ma-ri-a-hil-fer-gür-tel,
West-bahn-hof, West-bahn-stra-ße, Burg-gas-se,
Jo-sef-städ-ter-stra-ße, Al-ser-bach-stra-ße,
Wäh-rin-ger-stra-ße, All-ge-mei-nes-Kran-ken-haus.
Der Bus hält mit einem Ruck.
Ich steige aus,
werde – Schubs um Schubs – ausgestiegen.
Ruck, zuck bin ich draußen!
Der Menschenstrom spült mich weiter.
Ich betrete –
im Gleichschritt mit Arbeitskollegen –
das Betriebsgebäude.
Der Portier grüßt einen um den andern,
zwei Finger am Rand seiner Kappe:
Er hat Benehmen,
mehr noch:
Fingerspitzengefühl.
Guten Morgen – guten Morgen – guten Morgen!
Wie ein taktvoller Sprechautomat,
doch seine Augen spiegeln
Wieder-Erkennen,
ungleichmäßig blitzen sie auf.
Seine Sympathie für den einen,
seine Ablehnung des anderen
ließen sich daraus ablesen.
Im Trott mit mehreren
erreich ich den Lift.
Man schiebt mich
bei der Schiebetür hinein.
Nur keinen Druck!
Jemand hat meine Etage gedrückt.
Der Lift speit mich aus.
Ich schlendere den Korridor entlang,
grüße hierhin und dorthin,
erreich mein Büro.
Eine Kollegin erwartet mich schon.
Unruhig tritt sie von einem Fuß auf den anderen.
Sie schlägt eine Mappe auf,
Seite für Seite,
und bespricht mit mir, Satz für Satz,
beinahe Wort für Wort,
was ich für unsere Abteilung
bei der morgendlichen Betriebsbesprechung
vorbringen soll.
Akt für Akt
will sie behandelt wissen.
Es geht Schlag auf Schlag!
Ich wiederhole
Satz für Satz,
jedoch in eigenen Worten.
Ich eil ins Sitzungszimmer,
wo schon einige sitzen und debattierten,
Stuhl um Stuhl,
Meinung für Meinung.
Dissonanzen klingen an: Taktwidrigkeiten.
Ich rück meinen Stuhl zurecht.
Der Betriebsleiter erscheint Hals über Kopf:
Schickliches Begrüßungsgemurmel.
Allgemeines Sesselrücken.
Ich press meinen Rücken
gegen den Sesselrücken,
mich in meine Position zu drücken,
mich ins rechte Licht zu rücken,
meine Position zu stärken,
mich mit Vorschusslorbeeren zu schmücken;
Die Schriftführerin kündigt
Thema für Thema, eins ums andere, an.
Klangreiches Gebrabbel setzt ein.
Einige Hände zeigen taktvoll auf,
manche schießen hoch.
Übers Ziel!
Der Betriebsleiter erteilt
Wort – für Wort.
Er versucht,
einen gewissen Rhythmus zu finden.
Meine wohl gezielten Einwände,
finden Anklang, Gehör,
ein, zwei Einwürfe zwei, drei Zweifler.
Der Betriebsleiter lobt
die Gliederung meines Arbeitsablaufes,
kurz gesagt
meinen so genannten
Arbeitsrhythmus.
Weiß der denn überhaupt,
wie melodisch-methodisch ich schufte?
Die Sitzung klingt wohllautend aus.
Die „Unterläufel“ spenden
reichlich Applaus.
Ich möchte schon wieder nach Haus!
So geht es mir täglich,
Arbeitstag für Arbeitstag!
Nur die Mittagpause
hält mich davon ab:
Regelmäßig treffe ich da
meine geliebte Franziska.
Die Betonung
liegt auf „geliebte“,
sie mir am Herzen:
Rührt sie auch umständlich lang
immer herum in der Suppe,
rührend ist sie ja doch,
besonders, wenn sie versucht,
Spaghetti um ihre Gabel zu wickeln.
Und sie verwickelt mich gern
in ein tiefsinnig-heikles Gespräch
über den Lebensrhythmus,
ob und wie ich ihn pflege.
Sie ist Bildhauerin
und liebt
einer Skulptur Gliederung
durch gleichmäßig wiederholte ähnliche Formen,
wovon sie als „Rhythmus“ spricht.
Kaum ist das harmonische Essen vorbei,
fall ich in den Gleichklang der Arbeit zurück,
die mich taktfest bis 17 Uhr bindet.
Im Autobus kehre ich heim,
diesmal weniger eingeklemmt,
dennoch seinem Geratter ausgesetzt,
über Pflastersteine, verwitterte, alte,
über niveaulose Kanalabdeckgitter.
Vom eintönigen Rhythmus der Arbeit
doch ein wenig erschöpft,
greif ich nach einem Buch,
ohne Seite für Seite zu lesen,
denn die Augen fallen mir zu,
Auge um Auge.
Abgesetzt wiederholtes Geklingel
an meiner Wohnungstür
weckt mich – und meine Freude:
Ist ’s doch Franziska, die kommt!
Meistens koch ich für sie
wohlklingend-wohlschmeckende Speisen,
die sie begierig verschlingt,
mich dabei bestenfalls lobend.
Gleich danach wirft sie – sich räkelnd –
sich auf meine Chaiselongue
und sieht fern.
Nur kann sie ’s bald nicht mehr lassen,
von einem Kanal zum andern zu zappen,
ohne bestimmte Folge, reihum,
in unnachahmlichem Rhythmus,
bis ich ein Fernsehprogrammheft
ihr zur Beruhigung hinwerf.
Sie wirft ’s mir an den Kopf:
Vorwürfe leidet sie nicht, schon gar nicht versteckte!
Ich gehe vor ihr duschen, genieße
das gleichmäßige Rinnen des Wassers
auf meine Haut,
bis Franziska mich taktvoll
bittet, mir folgen zu dürfen.
Während sie duscht,
frottier ich mich ab,
zieh mir das Handtuch
über den Rücken,
einmal hinauf und einmal hinab.
Danach beginn ich ein Locklied zu singen,
ein dem Minnesange entlehntes,
wohllautend im Sechsachteltakt.
Rein und klangrein treffen wir beide
alsbald im Bett aufeinander,
treffen dabei –
gedankt sei es Amor! –
den gleichen, uns eigenen Rhythmus …