DU

bist die Maßzahl

meiner Liebe

(Hinterfragen in 25 Sex-Zeilern)

H. H. HADWIGER

I.

Annäherung
und
Aufgebot

1. ZU LANG KEIN ZUGANG

Du meinst, ich sei Dir unzulänglich,
ich ging‘ auf Dich so gar nicht ein,
wobei – was Dich zuerst verdrösse –
ich mich vor Dir nichts als verschlösse.
Steck einfach Deinen Schlüssel rein!
Als Schloss bin ich nicht unzugänglich.

2. BESCHAULICH

Sich in Dich verschauen,
scheint als Vorschau schauerlich!
Ab und zu zuschauen,
Blick, der flau, auftauen …!
Doch stellst nicht zur Schau Du Dich,
lässt sich ‘s Dir vertrauen.

3. UNAUSSPRECHLICH

Dich wortlos anzusprechen,
nicht am Versprechen scheitern,
was unaussprechlich, deuten,
den Spruch zur Sprache häuten,
sprachlos den Ernst erheitern,
verspricht, kein Wort zu brechen.

4. UNVERDENKLICH

Dich einfach anzudenken
aus irgend nur Erdenklichem,
wär denkbar schön, ausdenkbar nicht.
Sich rein versenken! Dein Gesicht
mit Lächeln, unversenklichem,
bedenken! Nicht abschwenken!

5. VON DEINER WARTE AUS

Wie sieht das, wenn ich warte, aus?
Wenn ich da ab und zu abwarte?
Für Dich empfänd‘ ich es als hart,
wenn ich noch länger nur zuwart‘!
Worauf läuft Warten denn hinaus?
Wie wetze ich sie aus, die Scharte?
II.

Gewissheit
des
Gelingens

6. UNVERMUTET

Du hast genug an Mut,
getraust Dich, was zu sagen,
und redest Dir den Mund
nicht nur an Nonsens wund.
Dich unvermutet wagen,
mutmaß ich, wäre gut.

7. ZAHL-LOS – LOS-ZAHL

Unzählbar ist die Menge,
die uns umrauscht, umdrängt, umstellt,
umbrandet, fordert und umgibt,
wo ein‘s das andre noch nicht liebt!
Zählt doch allein auf dieser Welt
nur das, woran mein Herz ich hänge!

8. HAND IN HAND MIT HAUSVERSTAND

Oft unternimmst Du kurzerhand,
was ich Dir gar nicht zugetraut.
Du schiebst nichts auf die lange Bank,
auch auf der Bank hast Du nichts lang.
Doch hast Du nicht auf Sand gebaut
und streust auch in mein Aug‘ nicht Sand.

9. LIEBESOPER? – LIEBESOPFER!

Ob nicht, wer liebt, gern Opfer brächte?
Und opfert seine Liebe nicht!
Verschafft nicht erst der Liebe Sinn
der eignen Herzlichkeit Gewinn?
Erwächst uns daraus doch das Licht,
das Wärme bringt in unsre Nächte!

10. AUF DER SUCHE NACH ERLESENEM – STÄNDIG

Du bist für mich mehr viel- als nur einbändig,
unbändig reiht Dein Stoff sich Band an Band,
unabgeschlossen bist Du, doch noch bündig.
Oh, würd‘ ich Suchender bei Dir erst fündig,
wo Fundus, Fundament, Bestand ich fand,
und gründete mein Hoffen drauf inständig!
III.

Argwohn,

Zweifel , Zwiespalt,

Zurückweisung

11. BEHÄNDE

Reich mir handlich Deine Hände!
Weis mich nicht gleich von der Hand!
Hat nicht, was da darf statt muss,
Hand und Fuß aus einem Guss?
Geh an Herz mir und Verstand,
nicht allein zur Hand behände!

12. UNLEUGBAR UNBEUGSAM

Du magst zwar eigen sein, doch eigensinnig
sein, ist, sich durchzusetzen, noch nicht zwingend!
Gefällst Du tausendschön und langschwarzzöpfig,
verfängt doch nicht Dein Störrisch und Sturköpfig!
Dir – ungezähmter Stute, vorwärtsdringend, –
schwanzbrünftig nachzusehen nur beginn ich.
13. VERSÜSZE MIR,WAS UNVERDAULICH,
ZU ERBAULICH!

Huschst Du unbekleidet durch das Zimmer,
seh von hinten, da Du Dich verweigerst,
zweimal eingeschnürt als Pillenwespe 1
gelb und schwarz gezeichnet Dich, als Espe
voll Brutzellen zitternd mich, als steigerst
Du zur bittern Pille Dich noch schlimmer.

14. SPECKKÄFER2, DEINEN LEIB LECKEND

Als wäre ich ein Pinselkäfer 3,
behaart, ein gelber Pillendreher 4,
der Kugeln formt aus Deinem Kot,
ein Skarabäus Deiner Not!
Denn dann verehrtest Du mich eher.
Ich winsle wach nach Dir: Beischläfer!

15. BITT’RE SÜSZE MACHT DIE ZUNGE KLEBEN

Hast Du mich wieder abgeschreckt,
seh ich mich hinterm Mastixstrauch 5
als Mastodon 6, das ungeniert
an einem Mastbaum masturbiert,
mit seinem Rüssel unterm Bauch,
und von des Mastix‘ 7 Süßharz leckt.
IV.
Abstand
und
Bedenken

16. LIEB’TRIEB BLIEB

Geht es um Deinen Unterleib,
behältst Du oft die Oberhand;
machst unterwürfig mich deswegen,
mir zeigend, dass Du überlegen.
Doch: Überlegen setzt Verstand
voraus, den Liebe mir vertreib‘!

17. SCHWÖR ‘S!

Als hätt sich alles gegen mich verschworen!
Sollt‘ allen andern Schönen ganz abschwören
und schwören, dass – beim Tod! – ich Dich nur lieb?
Mit wem hast Du, dass mir nichts übrigblieb,
vereinbart, mir nicht zu gehören?
Beschwör mir nicht zu viel, sonst ist ‘s verloren!

18. DERLEI ERZIEHUNG
ZUR ZWEIERBEZIEHUNG?

Sonst niemand außer Dich zu kennen,
gefiele Deiner Eifersucht!
Dann starrte ich Dich unverwandt
beschränkt an und wie hirnverbrannt.
Zerronnen wär im Geifer Zucht.
Verzeih! „Verziehung“ ist ’s zu nennen!

19. SEIDENFALTER MEIDEN ALTER

Was soll die leid‘ge Leidenschaft,
die Ausfluss Deiner Liebe scheint?
Ich wär bei Dir doch mehr als gern,
und ein Entfernen läg` mir fern,
hätt‘st Du mich nicht herbeigeweint,
bis Widerstand uns beide schafft!

20. ZAUDER GAR SCHAUDERBAR!

Mir schaudert, wenn ich daran denke,
es schaudert mich bei dem Gedanken,
Dir schauderte vor mir schon lang!
Mir wäre schaudervoll und bang,
geriet` erschauernd ich ins Wanken:
dass ich mich dauerhaft Dir schenke.
Schauderhaft!

V.

VERTRAUEN IN DIE ZUKUNFT

21. IN DEINEN ANBLICK VERSUNKEN

Wie kannst Du so in Dir versinken,
wie Dich mir ganz und gar hingeben,
Dich mir mit Haut und Haar verschreiben?
Da muss was auf der Strecke bleiben!
Gemeinsamkeit lass uns erleben –,
viel tiefer, soll uns Zukunft winken!

22. ZUVERSICHTLICH

Du siehst zu sehr aus Deiner Sicht,
was noch nicht unansehnlich ist.
Versieh mein seltenes Versehen
doch mit ersichtlichem Verstehen
statt unsichtbarer Einsicht List!
Weil das erst Zuversicht verspricht!

23. TEIL DER VERLASSENHEIT

Wie bin des Nachts ich gottverlassen –
und schreib an meinen düstern Zeilen!
Doch überzeugt, dass – wenn Du träumst –
Du nichts von alledem versäumst,
vermag ich leicht mit Dir zu teilen,
verstehst selbst Du es nicht zu fassen.

24. ALS WÄR VISITATION SCHON VISIONÄR

Sieh doch nicht alles so verneint!
Erwacht kaum, scheint ‘s Dir negativ.
Und ist Dein Traum mitunter heiter,
dann schläfst Du einfach munter weiter.
Weil Kreatives in Dir schlief,
hätt‘ ich ‘s mit meinem gern vereint.

25.MASZLIEBCHENS 8 MASZREGELUNG

Maßzahl: Zahl, die angibt, wievielmal
eine Maßeinheit in einer Größe,
die ‘s zu messen gilt, enthalten ist.
Ob Du mir die Maßzahl dessen bist,
was ans Maßsystem der Liebe stöße?
Du, das schönste Maßwerk 9 meiner Wahl!
ANMERKUNGEN
ZU MERKWÜRDIGEM

1 (zu 13) PILLENWESPE: lebhaft gelb und schwarz gezeichnete Wespe, deren Hinterteil zweimal eingeschnürt ist, sie baut dickbauchige vasenähnliche Brutzellen von Haselnussgröße: Eumenes.

2 (zu 14) SPECKKÄFER: Käfer, der an Fleischwaren, Pelzen, Fellen und anderen Vorräten lebt: Dermestes lardarius;
als PILLENKÄFER Angehöriger einer Familie kleiner, kugeliger Käfer aus der Verwandtschaft der Speck- und Pochkäfer, die Kopf, Fühler und Beine in Fugen der Körperunterseite einklappen können: Byrrhidae.

3 (zu 14) PINSELKÄFER: Angehöriger einer Unterfamilie der Pillendreher (siehe Anm. 4), meist zottig behaarte, gelb, weiß und schwarz gezeichnete Blatthornkäfer: Trichiinae.

4 (zu 14) PILLENDREHER: früher scherzhaft für „Apotheker“, hier dunkelbrauner bis schwarzer Käfer, der aus Kot von Huftieren Kugeln formt, die er unter die Erdoberfläche befördert und an denen er seine Eier ablegt: Scarabaeus;
SKARABÄUS (im engeren Sinn) ein Heiliger;
Scarabaeus: ein im alten Ägypten verehrter Scarabaeus sacer.

5 ( zu 15) MASTIXSTRAUCH: Sumachgewächs, aus dem durch Anritzen das für Lacke und Kitte verwendete und medizinisch genutzte Mastix (siehe Anm. 7) gewonnen wird: Pistacia.

6 (zu 15) MASTODON: ein ausgestorbenes Rüsseltier, das als Vorläufer der Elefanten gilt (vom Griechischen: mastos = Brust und odontos = Zahn).

7 (zu 15) MASTIX: das grünliche bis farblose Harz des Mastixstrauches (siehe Anm. 5), auch zähflüssiges und milchigweißes Lebensmittel von ähnlicher Süße bzw. Konsistenz wie „Türkischer Honig“.

8 (zu 25) MASZLIEBCHEN oder MASZLIEB: Gänseblümchen (vom althochdeutschen maz = Speise und lieb = Liebchen; galt als appetitanregend).

9 (zu 25) MASZWERK: gotisches, geometrisches Bauornament zum Füllen von Bögen, Fenstern usw. und zur Gliederung von Wandflächen.