DAS HOHELIED SALOMOS

nach den Büchern der Lehrweisheit

aus dem Alten Testament

in Kanzonen

von

H. H. HADWIGER

 

I) Kapitel 1, Vers 1 – 4

Was soll ich Euch von ew’ger Liebe singen –
es reichte, läs’ ich Euch das Hohelied,
worunter Ihr der Hochzeit Lob verstündet –,
die süßer schmeckt als Wein, besonnt am Ried?
Sie lässt sich dir als Duft von Salben bringen,
die in den Kuss an deinem Munde mündet.
Du zieh! Ich folg – verbündet.
In deine Kammern führst du, König, mich,
von dem ich weiß, dass dich die Mädchen lieben.
Bin nüchtern nicht geblieben
und jauchzend, voller Freude trunken, ich.
Trotz Wein – ich spür, es liebten dich die Frommen
zu recht. Drum bist du ganz in mich gekommen.

II) Kapitel 1, Vers 4 – 6

Mehr als der Wein wird deine Liebe gelten.
Dich herzlich lieben! Ich bin angenehm,
gebräunt bin ich, doch himmlisch-schön, berückend
und hübsch, ihr Töchter aus Jerusalem,
wie Salma-Teppich, wie in Kedars Zelten.
Seht mich nicht an, dass ich so braun-entzückend!
Die Brüder, mich entglückend,
die setzten mich der Sonne aus. Verbrannt
ist meine Haut, gegerbt und hürnen,
da mir die Söhne meiner Mutter zürnen.
Zur Weinberg-Wächterin war ich verbannt,
in ihrer Weinberg’ Hitze hinzubrüten.
Den eig'nen Weinberg durfte ich nicht hüten.

III) Kapitel 1, Vers 7 – 10

Du, sag mir an, Geliebter meiner Seele,
damit auch ich zur Liebsten deiner werde:
Wo wirst du müde um den Mittag liegen?
Wo weidest du denn deiner Schafe Herde?
Damit ich deine unter allen wähle!
Die der Gefährten möchte ich nicht kriegen.
Ach, weide deine Ziegen –
weißt du es nicht, du allerschönste Frau,
dann folge doch der Fährte meiner Tiere,
bevor sie sich verliere! –
im kühlen Schatten nah der Hirten Bau!
Du, Freundin, bist wie ein Gespann am Wagen,
bist Wangenkette, Perlenschnur im Kragen.

IV) Kapitel 1, Vers 9 – 14

Pharaos Prachtgefährt mit seinen Stuten
ist dir, o meine Freundin, kaum vergleichbar!
Ohrringe schmuck, am Halse Perlenschnüre,
Goldzierat formen dir wir, unerreichbar,
mit Silberkugeln, Spitzen, die anmuten,
als ob du alle, niemand dich verführe.
Wie ich den König rühre:
Als er sich hergewandt, gab meine Narde Duft.
Solang’ er weilt bei seiner Tafelrunde,
ist er – trinkt Honig er aus meinem Munde –
ein Büschel Myrrhen, atmend meine Luft,
Geliebter, zwischen meinen Brüsten liegend,
am Stiel des Kopherstrauches Blütentrauben wiegend.
V) Kapitel 1, Vers 14 – 17

In den Weingärten von En-Gedi Traube
von Zypernblumen ist mein liebster Freund,
ist Myrrhenzweig, an meinem Busen hängend,
ist jeder Pfahl, der mir mein Feld umzäunt,
ist mein Geliebter, dem allein ich glaube.
Und naht er endlich, durch den Zaun sich zwängend,
ruft er mir zu, bedrängend:
„Ja, schön bist du, o Freundin mein, ja, schön!
Es strahlen deine Taubenaugen Gold!”
„Ja, schön bist du, Geliebter, lieblich, hold,
und frisches Grün ist unser Lager”, stöhn
ich, „Zedernbalken hat mein Haus besessen,
die Täfelung und Sparren von Zypressen.”

VI) Kapitel 2, Vers 1 – 6

Ich bin wie eine Blume auf den Wiesen
des Scharon, eine Lilie im Tal,
bin unter Disteln Lilie, unter Maiden.
Als Apfelbaum wird unter Eichen schmal
mein Liebster, unter Burschen mir gepriesen.
An seinem Schatten möchte ich mich weiden,
gilt mein Begehren beiden.
Wie süß schmeckt meinem Gaumen seine Frucht!
Ins Weinhaus führt er mich, in Liebeslauben,
erquickt mit Äpfeln mich, labt mich mit Trauben,
denn meine Liebe wird zur Krankheit, Sucht.
Und Liebe heißt sein Zeichen, sein Panier,
am Kopf die Linke, rechts die über mir.

VII) Kapitel 2, Vers 6 – 10

Die Linke unterm Haupt, umfängt die Rechte
mich. Bei den Rehen, Hinden auf dem Feld
will ich Jerusalems Geschlecht beschwören.
Weckt meine Freundin nicht, bis ihr ’s gefällt!
Regt sie nicht auf noch an, eh sie dran dächte!
Sie dürft ihr nicht – und nicht die Liebe stören.
Mein Freund wird mir gehören!
Horch! Seine Stimme! Sieh! Da, übern Berg
gesprungen kommt er, hüpft er über Hügeln,
gazellengleich, ein junger Hirsch, mit Flügeln.
Er steht vorm Haus, nah hinterm Mauerwerk,
er blickt durchs Fenster, er durchspäht die Gitter.
Mein Freund, er spricht zu mir, so gar nicht bitter.

VIII) Kapitel 2, Vers 10 – 13

„Steh auf, o Freundin, folge mir, du Schöne!”
wie der Geliebte zärtlich zu mir spricht.
„So komm! Der Winter ist vorbei, der Regen
verrauscht. Die Blumen stoßen schon ans Licht.
Zeit singt. Hörst du der Turteltaube Töne?
Die Feigen reifen. Reben an den Wegen,
sie duften dir entgegen.
Du, Taube, die im Felsennest versteckt,
an steiler Wand empor in Höhen steige!
Dein süßes Gurren lass erschallen! Zeige
dein Antlitz, lieblich mir und unverdeckt!
Dass wir im Weinberg jene Füchse fingen,
die an den Blüten unsrer Reben hingen!”

IX) Kapitel 2, Vers 13 – 17; Kapitel 3, Vers 1

„Die Füchse – unsern Weinbergen Verwüster
bei Blüte – fangt uns, sind sie noch so klein!”
so sagt mein Freund, der unter Lilien weide.
Geliebter, du bist mein, und ich bin dein.
Bis dass der Tag verweht und kühl wird, düster,
die Schatten wachsen, weichen, die er meide,
zur Umkehr dich entscheide!
Komm, mein Geliebter, der Gazelle gleich,
und der du ähnlich bist den jungen Hirschen,
die durch den Sand-Kies knirschen
der Balsam-Scheideberge, schluchtenreich!
O komm! Des Nachts auf meinem Lager zähle
auf dich ich, denn nur dich liebt meine Seele!

X) Kapitel 3, Vers 1 – 4

Ich suchte ihn des Nachts in meinem Lager,
ich suchte ihn, den meine Seele liebt.
Ich suchte ihn, doch konnt‘ ich ihn nicht sehen.
Ich fand ihn nicht. Als ob es ihn nicht gibt!
Sich so im Dunkeln zu verstecken wag er?
Ich will des Nachts von meinem Bett aufstehen
und in der Stadt umgehen.
Ich suchte ihn, jedoch ich fand ihn nicht.
Mich fanden Wächter, die die Runde drehen.
Saht ihr, den meine Seele liebt voll Flehen?
An ihnen kaum vorbei, nahm sein Gesicht
ich wahr. Den meine Seele liebt, zu fassen
bekomm ich, halt ihn, will ihn nicht mehr lassen.

XI) Kapitel 3, Vers 4 – 6

Da fand ich ihn, den Liebsten meiner Seele,
ich packte ihn und ließ ihn nicht mehr los.
Die mich gebar, in deren Kammer brachte
ich ihn, bracht‘ ihn in meiner Mutter Haus.
Ich, Töchter von Jerusalem, empfehle,
obzwar ich euch mehr zu beschwören trachte,
indessen ich mir dachte:
Bei den Gazellen, Hirschen auf der Flur,
weckt meine Freundin nicht, bis ihr’s gefalle,
nicht stört noch regt sie auf mit lautem Schalle!
Die aus der Wüste steigt, wer ist sie nur,
Rauchsäulen gleich, von Myrrhe, von Weihrauch
umwölkt, mit dem Gewürz des Krämers auch?

XII) Kapitel 3, Vers 7 – 10

Sieh da! Die Sänfte Salomos geleiten
Israels Helden, sechzig, Held an Held.
Sie sind bewaffnet, halten alle Schwerter.
Sie sind geschult im Kampf, geübt im Feld,
und sie verstehen es, geschickt zu streiten,
ein jeder an der Hüfte Schwertbewehrter,
ein gegen Angst Gekehrter,
um aller Schrecken willen in der Nacht.
Aus Holz vom Libanon mit selt’nem Schimmern
ließ Salomo sich eine Sänfte zimmern,
mit Silbersäulen, Decken gold’ner Pracht,
der Sitz aus Purpur, Boden reich verziert.
Dass ihr Jerusalems Geschlecht gebiert!

XIII) Kapitel 3, Vers 9 – 11

Ließ Salomo sich eine Sänfte machen,
der Töchter wegen zu Jerusalem,
dann seht ihn doch, den König mit der Krone!
Dass seine Mutter sie ihm nur nicht nehme!
Ihr Töchter Zions sollt darüber wachen,
dass es sich für die wahre Liebe lohne,
wenn ich ihr innewohne!
Die Mutter selbst hat Salomo gekrönt,
am Tage seiner Hochzeit, seines Scherzens
sowie am Tag der Freude seines Herzens,
damit der Bräutigam dem Bilde frönt,
er sei für seine Braut wie Salomon,
für den, sich schön zu machen, sich auch lohn‘!

XIV) Kapitel 4, Vers 1 – 3

Schön bist du, meine Freundin! Kaum zu glauben,
bist schön du, meine Freundin, in der Tat.
Dein Haar gleicht einer Herde voller Ziegen,
gelagert im Gebirge Gilead.
Und deine Augen sind wie die von Tauben,
die strahlend hinter deinem Schleier liegen,
woran sich Zöpfe schmiegen;
die Zähne Herde nach der Schur fürwahr,
wie Schafe, wenn sie aus der Schwemme steigen.
Und jegliches will seinen Zwilling zeigen.
Nicht einem fehlt er! Keines unfruchtbar!
Schnur, scharlachrot, ist deiner Lippen jede,
und lieblich ist dein Mund wie deine Rede.

XV) Kapitel 4, Vers 3 – 6

Granat’nen Äpfeln gleichen deine Wangen,
die sich wie Schläfen an die Scheiben drängen!
Ein Davidsturm mit Brustwehr ist, steinschichten,
dein Hals, woran bei tausend Schilde hängen,
nur Schilde, die selbst Helden nicht bezwangen,
die sich als Waffen gegen Starke richten,
die Feinde zu vernichten.
Wie Kitzlein fein sind deine beiden Brüste,
sind wie Gazellen-Zwillinge, die beiden,
die unter Lilien weiden.
Verwehter Tag den Schatten weichen müsste,
bis ich zum Myrrhenberge gehen wollte,
zum Hügel, über den der Weihrauch rollte.

XVI) Kapitel 4, Vers 7 – 9

Du allerdings bist schön, o Freundin! Alles
an dir ist schön. Kein Makel ist an dir.
Du, meine Braut, lockst mich vom Libanon.
So komm! Vom Libanon komm weg mit mir!
Vom Gipfel des Amana-Bergabfalles
weg, von der Höhe Senir und Hermon
weg, wo der Löwe wohn‘!
Verzaubert hast du mich, du, Schwester, Braut.
Sollst von der Leoparden Berge kommen.
Hast mir durch einen Blick das Herz genommen,
und meine Augen haben sich getraut,
als ob mich eine Perle deiner Kette
am Hals, nur eine, so verzaubert hätte!

XVII) Kapitel 4, Vers 10 – 13

Wie schön ist deine Liebe, Braut und Schwester!
Viel lieblicher die Liebe denn der Wein!
Der Salben Würze übertrifft selbst Balsam.
Waldhonig träufelt deine Lippen ein.
Wie Milch macht Honig deine Zunge fester,
gleicht Duft, den deine Kleidung zum Geruch nahm,
dem, der vom Libanon kam.
Verschloss’ner Garten bist du, liebe Braut,
bist eine schnelle Quelle, die versiegte,
ein Born. Im Winde wiegte
Lustgarten sich, Gewächse angetaut,
Granatäpfel, die edle Früchte hüten,
mit Blumen, Hennadolden, Nardenblüten.

XVIII) Kapitel 4, Vers 14 – 16

Dann Narden, Safran, Kalmus, Weihrauchbäume
mit Myrrhe, Aloe, Gewürzen, Zimt,
von bestem, feinstem Duftgewächs umgeben.
Du Quell, auf den der Garten sich einstimmt,
du Brunnen voller frischem Wasser, schäume!
Du rieselnd Nass vom Libanon, voll Leben!
Nordwind muss sich erheben!
Erwache! Südwind, komm und braus herbei!
Durchweht den Garten, der im Duft ersöffe,
da es wie Balsam von den Blumen tröffe
und alles von Gewürz durchdrungen sei!
Mein Freund in mich, in seinen Garten, komme,
dass ihm von edlen Früchten naschen fromme!

XIX) Kapitel 5, Vers 1 – 3

Ich bin in meinen Garten, Braut, gekommen,
hab meine Myrrhe samt Gewürz gepflückt,
gegessen hab ich meines Honigs Wabe,
mir ist zu trinken – Wein wie Milch – geglückt.
Esst, Freunde, trinkt, von Liebe ganz benommen!
Mein Herz war wach, da ich geschlafen habe.
Da kamst du, liebster Knabe!
Horch, mein Gebieter hat ans Glas geklopft.
„Mach auf, o Schwester! Freundin, lass mich ein,
du Taube, makellose, du so rein!
Mein Kopf voll Tau, die Nacht aus Locken tropft.”
Soll ich in abgelegte Kleider schlüpfen?
Die Füße mir beschmutzen oder hüpfen?

XX) Kapitel 5, Vers 4 – 6

Mein Freund steckt seine Hand durch Loch und Spalte.
Mein Innerstes wallt ihm entgegen, bebt.
Da stand ich auf, dass ich dem Freund aufmachte.
Als meine Hand den Griff des Riegels hebt,
ich, myrrhetriefend, aus dem Schloss ihn halte,
da flossen meine Finger, und nicht brachte
zustand‘ ich’s, bis es krachte.
Kaum hatt’ ich dem Geliebten aufgetan,
da war er fortgegangen, weg, verschwunden.
Ich suchte ihn, ich hab ihn nicht gefunden.
Und irr ging meine Seele wie im Wahn.
Mein Atem stockte, starr war mein Gesicht.
Ich rief, jedoch er antwortete nicht.

XXI)  Kapitel 5, Vers 6 – 9

Da fanden mich die Wächter bei den Runden,
die sie umhergegangen in der Stadt,
entriss den Umhang mir die Wacht der Mauern.
Wohin sich bloß mein Freund geflüchtet hat?
Die Wächter schlugen zu, um zu verwunden.
Ihr Töchter von Jerusalem, bedauern
sollt ihr den Freund und lauern
darauf, dass er mit Fragen in euch drang,
wie mag es mir denn ohne ihn ergehen.
Dann – ich beschwör euch – gebt ihm zu verstehen,
ich sei vor lauter Liebe nach ihm krank.
Was hat dein Freund vor anderen verloren,
was denn voraus, dass du ihn so beschworen?

XXII)  Kapitel 5, Vers 10 – 13

Mein Freund ist weiß und rot. Erkoren habe
ich unter tausend ihn, dass ich ihn kenn.
Sein Haupt ist ganz aus feinstem Gold, gediegen.
Die Locken, kraus, sind schwarz, eh ich sie brenn,
sind Dattelrispen, schwärzer als ein Rabe.
Und seine Augen, die in Höhlen liegen,
sind Tauben, die auffliegen,
an Wasserbächen und von Milch umspült.
In fester Fülle stehen seine Zähne.
Und seine Wangen, Balsambeete, lehne
ich an Gewürzgeflecht, dass es sie kühlt.
Die Lippen, die wie Rosen nach mir riefen,
von Myrrhe fließen und von Myrrhe triefen.

XXIII)  Kapitel 5, Vers 14 – 16

Sind Barren voller Gold in seinen Händen,
an Tarsissteinen reich, türkisbestückt.
Sein Leib ist Elfenbein, wie eine Platte,
aus reinem Elfenbein, saphirgeschmückt.
Erst seine Beine, die in Schenkeln enden,
die er auf Marmorsäulen ruhen hatte,
auf gold’ner Sockel Matte!
Und die Gestalt ist wie der Libanon,
der Zedern reif-bewusst und auserlesen.
Der Kehle Lust ist Gaumen ihm gewesen,
dass seine Süße alle Wonnen lohn’.
So ist mein Freund! Mein Freund ist so, ich nehm ’s!
Ich lieb ihn, Töchter, ihr, Jerusalems!

XXIV)  Kapitel 6, Vers 1 – 5

Wohin ist dein Geliebter denn gegangen?
Wo hat er, schönste Frau, sich hingewandt?
Wir wollen, ihn zu suchen, mit dir leiden.
Ins Würzgärtlein ist er hinabgerannt.
Nach Balsambeeten steht ihm das Verlangen.
In Gartengründen, Auen, will er weiden,
um Lilien zu schneiden.
Geliebter, du bist mein, und ich bin dein!
Du bist wie Tirza schön und so erfahren:
Jerusalem, voll Pracht der Himmelsscharen.
Wend deine Augen ab, sie schüchtern ein.
Dein Haar gleicht einer Herde voller Ziegen,
die an den Flanken Gileads hin liegen.

XXV)  Kapitel 6, Vers 6 – 9

Wie Mutterschafe, die aus Schwemmen steigen,
sind deine Zähne, blinkend, wunderbar.
Und Gegenstücke gibt’s, die niemand fehlen,
stets zwillingsträchtig; keines unfruchtbar.
Wie sich von Schläfen zu den Wangen neigen
die Zöpfe, die dich – Schleiern gleich – verhehlen
und dich darunter stehlen.
Nur Salomo hat Jungfrau’n ohne Zahl,
hat schon allein an sechzig Königinnen
und achtzig Nebenfrauen, doch gewinnen
wird meine Taube, ihrer Mutter Wahl.
Die Mädchen preisen sie; wie ihren Hymen
die Königinnen, Nebenfrauen rühmen.

XXVI)  Kapitel 6, Vers 10 – 12, Kapitel 7, Vers 1

Wer ist’s? Wer bricht hervor wie Morgenröte?
Schön wie der Mond, wie Sonne strahlend rein,
so schrecklich-prächtig wie die Himmelsscharen?
Ich stieg den Nussgarten, der sich mir böte,
hinab, um nach der Palmen Sprossen fein
zu schauen, ob dem Weinstock Knospen waren,
Granatäpfel sich klaren.
Nur meine Seele, schnell von ihm entführt,
die wusste nicht, dass er mich fortgetragen
zu Fürstentochter Ammi-Nadibs Wagen.
Du wend dich, Sulamith, die alle rührt!
Du musst dich, dass wir dich betrachten, zeigen,
lass tanzen sehen dich Mahanaims Reigen!

XXVII)  Kapitel 7, Vers 1 – 5

Wie schön sind deine Schritte in Sandalen,
du Fürstentochter! Deiner Hüften Bug
gleicht – wie von Künstlerhand gefertigt – Spangen.
Dein Schoß, ein Becher, der Getränke trug,
ist rundes Becken allerschönster Schalen,
die ewig nach gewürztem Wein verlangen,
dein Leib wie Weizenschlangen,
wie Weizenhaufen, lilienumsteckt.
Die Brüste sind zwei Kitzlein der Gazelle,
dein Hals ein Turm von elfenbeiner Helle,
die Augen sind wie Teiche, unbedeckt,
zu Hesbon, vor Bat-Rabbims Tor gebaut.
Der Nase Turm bis nach Damaskus schaut.

XXVIII)  Kapitel 7, Vers 6 – 10

Dem Karmel gleicht dein Haupt, und deine Haare
wie eines Königs Purpurfalten sind,
zu Zöpfen mitverflochten, eingebunden.
Wie bist du schön und lieblich, zartes Kind!
O Liebe, alle Wonne dir bewahre!
Dein Wuchs ist eine Palme, hoch, gewunden.
Die Brüste, deine runden,
die sind wie Trauben. ”Auf die Palme – wüsste
ich, wie – hinauf”, so sprach ich, „will ich steigen,
nach Dattelrispen greifen, die sich neigen.
Am Weinstock Trauben sind mir deine Brüste.
Des Apfels Duft aus deinem Atem weht.
Dein Mund ist Wein, der glatt in mich eingeht.”

XXIX)  Kapitel 7, Vers 10 – 14

Dein Mund sei Wein zu meiner Liebe Kosen,
der Schläferlippen reden macht, gewandt.
Mein Freund ist mein, nach mir steht sein Verlangen.
Komm, wandern wir in Dörfer, auf das Land!
Dort schlafen wir mitsammen unter Rosen,
bis wir schon früh in Weinberge gelangen,
zu sehn, ob Stöcke prangen,
ob Reben knospen. Öffnet sich die Blüte?
Ob der Granatfruchtbaum ausschlüge, triebe?
Dort schenk ich dir die Brüste, meine Liebe.
Der Liebesäpfel Duft, der Früchte Güte
an unsrer Tür. Ich will sie dir behalten,
mein Freund, die heurigen so wie die alten.

XXX)  Kapitel 8, Vers 1 – 4

Oh, dass du mir gleich einem Bruder wärest,
der meiner Mutter Brüste leergesogen!
Träf’ ich dich draußen, würde ich dich küssen.
Ins Haus der Mutter, die mich aufgezogen,
wollt’ ich dich führen, gleich, ob du’s begehrest.
Da du mich lehren sollst mit vielen Schlüssen,
werd ich dir folgen müssen.
Mich dürfte keiner schelten noch verachten.
Granatfruchtmost und Würzwein gäb ’s zu trinken.
Mein Kopf, der läge leicht auf seiner Linken,
und seine Rechte würde nach mir trachten.
Jerusa-Töchter, ich beschwör euch alle,
weckt meine Freundin nicht, eh ihr’s gefalle!

XXXI)  Kapitel 8, Vers 5 – 7

Wen seh ich aus der Steppe aufwärts steigen,
raus aus der Wüste, auf den Freund gestützt?
Tief unterm Apfelbaum wollt’ ich dich wecken,
wo deine Mutter dich empfing, geschützt,
und musst’ – gebärend – sich in Wehen neigen.
Ein Siegel setz, dein Herz so zu bedecken,
am Arm, um ihn zu strecken!
Denn Liebe ist stark wie der Tod, nicht fern
und hart die Leidenschaft, des Eiferns Hölle.
Wie feurig ist die Glut in ihrer Völle,
lodernde Blitze, Flammenmeer des Herrn!
Hochwasser kann die Liebe nicht ertränken
noch Ströme sie wegspülen, sie umlenken.

XXXII)  Kapitel 8, Vers 7 – 10

Wenn einer alles Gut im Haus für Liebe
anböte, gält’ es nichts als nur Verachtung.
Klein ist die Schwester und hat keine Brüste.
Wenn ihr nun Werbung wird und Herzbetrachtung,
was gibt es dann, das für sie übrig bliebe?
Dass man dem lieben Kind zu raten wüsste,
was es ergreifen müsste!
Wie schützen wir sie, falls man um sie freit?
Ist Mauer sie, dann bau’n wir Silberzinnen.
Ist Tür sie, stärken wir sie fest nach innen
mit Zedernbohlen, und sie ist gefeit.
Bin Mauer ich, sind Türme meine Brüste,
find Frieden, Anklang ich – und seine Lüste.

XXXIII)  Kapitel 8, Vers 11 – 14

Und einen Weinberg, einen sehr fruchtbaren,
den hatte Salomo zu Baal-Hamon.
Da gab er denen, die darüber wachten,
den Weinberg und die Fruchtbarkeit davon,
und keiner sollt’ mit seinen Pfunden sparen,
dass alle tausend Silberlinge brachten,
sich jeweils Mühe machten.
Mein eig’ner Weinberg ist von mir. Zwar tausend
gehören, Salomo, dir, doch den Hütern
zweihundert für die Früchte auf den Gütern.
Die du in Gärten wohnst, Gefährtin, brausend,
mich Lauschenden lass deine Stimme hören!
Flieh, Junghirsch auf den Berg! Wer will dich stören?