„Ich will was Neues – und wär’s auch nicht auf der Welt.“

La Fontaine, Clymène,36

 

NEUHOFFEN: NACHLEBEN

 

Jahrelang warst du gesund, voll Widerstandskraft gegen alles.

Niemand erahnte, du stürbst, ehe dein Werk du vollbracht.

Gingst deinen Aufgaben nach, voll Hingabe, uneingeschränkter,

hieltst den Haushalt in Schuss, pflegtest den Garten fortan.

Du gabst Gesellschaften oft, bei Gästen besonders geschätzte,

die voll Bewunderung meist für dein geschmackvolles Haus,

das du mit Antiquitäten, mit Teppichen schmücktest und Bildern,

die du bei Künstlern erwarbst oder im Dorotheum.

Einigermaßen begabt, hast du Hinterglasbilder gemalt,

stricktest und hast gern genäht, immer recht modebewusst.

Brachtest drei Kinder zur Welt, ermöglichtest ihnen fast alles.

Opfertest dich für sie auf, gingst gut mit Beispiel voran.

In deinen letzten Wochen begannst du, die Fotos zu ordnen,

ganz so, als hätt’st du ‘s geahnt, dass dir an Zeit wenig bleibt.

Aber dein Tod kam so plötzlich, womit keine Seele gerechnet.

Ostern bestiegst du den Zug, der dich nach Göttingen fuhr.

Frühling lag schon in der Luft, so dass man die Fenster geöffnet.

Doch durch den Fahrtwind im Zug, hast du dich ernstlich verkühlt.

Littest an Lungenentzündung, die deine Immunkraft besiegte.

Sepsis rafft‘ dich dahin schon in der folgenden Nacht.

An deinem Krankenbett wachte ich bang bis zuletzt voller Hoffnung,

sprach so manches Gebet, wurde es auch nicht erhört.

Du hast mir trotz hohen Fiebers mit klarem Verstand aufgetragen,

unseren Kindern stets Schutz, Förderer, Bürge zu sein.

Und ich versprach es dir noch, im Glauben, du würdest genesen,

während ich schon mitbekam, wie deine Seele entschwand.

Morgens um vier saß allein vorm Krankenhaus ich auf der Parkbank:

Karfreitag war ’s, und ich hab an Auferstehung gedacht.

Trotzdem, ich wusste zugleich: Solch Wunder sind heute nicht üblich.

Habe deshalb nur ganz still vor mich hin geweint, und ich fragte,

was das alles denn soll. Warum gerade trifft ’s mich?

Gleichsam in Trance fuhr ich heim, wo Eltern die Tochter beklagten.

Wie aber sollte ich selbst das unsern Kindern kundtun?

Die sind gerade erst drei, sind sieben und neun, unsre Kinder!

Wie bringt man ihnen denn bei, dass ihre Mutter verstarb?

Freilich, dem Jüngsten erzählt man, dass sie in den Himmel gestiegen.

Wahrheit den Ältern gebührt. Weiß man da irgendwie Trost?

Überall in unserm Haus sind ihre Spuren vorhanden.

Keiner von uns löscht sie aus, tun sie auch manchmal noch weh.

Alle erlitten den Mangel, doch galt es, damit fertig werden.

In eines jeden Gemüt setzt der Verlust sich doch fest.

Bald war der Jüngste verwöhnt, von allen, die er so bekümmert,

dass er die Schule verließ und sich dem Suchtgift verschrieb.

Einzig die Tochter begriff nach Kreuzschwesterninternatswehen,

dass sie verantwortlich ist für ihren eigenen Weg.

Anfangs: Der Älteste schien das alles recht gut zu verkraften,

bis er mit dreißig erkannt, dass er die Kraft nur gespielt:

Suchte in jeder Beziehung die ihm sosehr fehlende Mutter,

was allerdings dazu führte: Er blieb länger Kind und war schwächer.

Als ihn die Freundin verließ, erlag er dem Alkohol gänzlich,

und er verbrannte sich selbst fast bei lebendigem Leib,

bis er zuunterst erkannte, dass es so nicht weiter ginge,

eine Entziehungskur nahm und wieder an Boden gewann.

Mich freilich hat es gerüttelt, ich wusste oft nicht, wer ich wäre.

Hab meine Frau doch geliebt, dass ich sie auch nicht vergaß.

Immer noch hoffe ich fest, sie einstens neu wiederzusehen,

weil ich an Auferstehung wie an ein Nachleben glaub.