STILLE POST – TAUB-STUMM

Vermutlich werden Sie ‘s nicht glauben:
Ich züchte hingebungsvoll Tauben,
nicht, um sie als Delikatessen,
solang sie zart sind, aufzuessen,
vielmehr für äußerst exklusiven
Transport von Nachrichten und Briefen,
nicht um die Flugpost zu ersetzen,
noch, um die Vögel aufzuhetzen,
dass sie an Anstrengungen sterben,
nein, nur zu Flugsportwettbewerben!

Ich bring sie an den Abflugort,
erst nach dem Auflass sind sie fort
und fliegen – sei ’s bei Nacht, bei Tag –
direkt zu ihrem Heimatschlag.
Bei Wettbewerben misst man dann,
wer ihn zuerst erreichen kann.
Will man darüber noch hinaus,
dann sucht man ein Behältnis aus
und steckt ein Zettelröllchen rein,
am Rücken festgemacht, am Bein.

Wie die Distanz sie überwinden,
wie in den Heimatschlag sie finden,
darüber gibt es Theorien:
Wie Zugvögel nach Norden zieh’n
und umgekehrt nach Süden flögen.
Das liegt am Heimfindevermögen!
Orientiert trotz weiter Ferne
am Stand der Sonne und der Sterne,
entlang der Erde Magnetfeld,
die Brieftaube den Kurs einhält.

Man glaubte, sie hab‘ Nervenzellen,
um so im Direktflug, im schnellen,
ihr Ziel verlässlich zu erreichen.
Und man entdeckte auch Anzeichen:
Der Sensor dafür, admirabel,
befinde sich in ihrem Schnabel,
und Eisenoxyd, Magnetit
wie Maghämit, die spielten mit.

Die neue Forschung aber meint,
es sei ganz anders, als es scheint:
Dass sie die Fährte nicht verlor,
bewirkt allein ihr Innenohr.
Magnetfeldstärke messen die Neuronen
in einer Brieftaube vier Hirnregionen,
und so gelangt wie mittels Kompass
das „Luftrennpferd“ zurück vom Auflass.
Auch wenn der Mensch es kaum erfass‘.