14.03.2010

HALB SANK ICH HIN, HALB ZOG ES MICH …
(OBWOHL ICH LOG, ES REIMTE SICH!

Jahr um Jahr zog so ins Land,
aber ich, verzog’ner Sohn,
zog daraus für den Verstand
weder Nutzen noch gar Lohn,
zog daraus auch nicht die Lehre,
dass, was sich da zöge, währe.

Freilich zog ich den Vergleich
zwischen mir und Kameraden,
die das große Los als reich
zogen, nicht zu ihrem Schaden,
wohl zu sein es vorgezogen,
die vom Land zur Stadt gezogen.

Einer Blumen zog und Pflanzen,
einer an der Straße Gräben,
einer Drähte, ohne Stanzen,
Bilder zog auf Pappe eben
vierter, fünfter, der zog Kerzen,
Gottlosigkeit auszumerzen.

Imker war der Konrad Pflog,
und als solcher zog er Bienen;
Honig davon Fäden zog,
die beim Schöpfen erst erschienen.
Franz war Spieler, zog da schon
manch Atout aus dem Talon.

Karl, Säufer jedenfalls,
zog auf Flaschen herben Wein,
Korken aus der Flaschen Hals
und zog Wein in sich hinein,
was, wenn er dran länger zog,
üble Folgen nach sich zog.

Pepi war recht aggressiv,
zog bei kleinster Kleinigkeit
gleich das Messer, doch da rief
ihn wer zur Besonnenheit,
der, bevor das Messer flog,
schnell zur Not die Bremse zog.

Keinen brachte Pepi um.
Hatten ‘s doch zu was gebracht,
alle Weggezog’nen! Drum,
nicht verzogen, unbedacht
ich Vergleich verzogen zog,
Kürzern ziehend, mich nicht trog.

Ich zog manchmal noch das Pferd,
das zog seinerseits den Pflug,
der zog Furchen in die Erd‘,
Samen säend drin genug,
konnt‘ ich dabei auch nicht sehen,
ob sie an- und je aufgehen.

Zog ich doch daraus den Schluss:
Schluss denn müsst‘ es endlich sein,
dass ich, der zum Überdruss
stets den Hut gezogen, klein,
unerzogen auch erschien.
Das sei in Betracht zu zieh’n!

Da ich die Aufmerksamkeit
bisher nicht auf mich gezogen,
ist’s, den Schluss zu ziehen, Zeit,
dass ich um mein Glück betrogen.
In Verdacht gezogen werden?
Ich entzog mich den Beschwerden.

Auch die Ausflucht zog nicht mehr,
dass es mir im Kreuz so zog,
dass ich ziehende Beschwer
aus der Freiheit in mich sog.
Alles zog als lächerlich
nur in Zweifel letztlich ich.

Mich zog ’s in die weite Welt,
in die Fremde zog ich nicht.
Hab Zugvögeln nachgestellt.
Sie entzogen sich der Sicht,
zogen südwärts, scharenweise.
Ich jedoch verzog mich leise'.

Ich zog freilich nicht nach Wien,
nach Helsinki, Kopenhagen,
nicht nach Stockholm noch Berlin.
Gar zum Freund zu ziehen, wagen
konnt‘ ich ‘s nicht, da er ’s vorzog,
dass er, schwul zu sein, vorlog.

Zog zu keiner meiner Lieben,
mit der ich zusammenzog,
bin total allein geblieben;
stille Einsamkeit ich pflog.
Zog zurück mich auf die Pirsch,
so als zög‘ mich an der Hirsch.

Ich zog lieber durch den Wald
wie der Hirsch durch helle Lichtung.
Ließ mich das Gespräch auch kalt,
in das mich mit viel Gewichtung
meine Freunde gern gezogen,
die mir nun nicht mehr gewogen.

Zog des Vaters Erzunwillen,
Mutters Zweifel auch auf mich,
Nachbars bösen Blick im Stillen.
Nicht mich anvertrauen will ich
des Psychiaters Dialog,
den ich nicht zu Rate zog.

Nicht einmal der Freundin mein gehörte,
der gehörig wohlerzogenen, ich an,
die, dass ich ihr hörig, sich empörte,
wo sie mich nicht trösten noch erhören kann.
Zugehört hätt‘ sie, würd‘ ich mich ins Vertrauen
sie zu ziehen trauen, mich ihr anvertrauen.

Wenn ich mich mit dem Gedanken quäle,
keinen Wechsel auf die Zukunft ziehen,
zieht Melancholie durch meine Seele.
Dieses in Betracht zu ziehen, fliehen
die Versuche, sich der Gegenwart
zu entziehen, deren Wechsel hart.

Zeit nicht ungenützt verziehen
lassen! Aus dem Scheitern bis hierher
Nutzen ziehen, der gediehen,
als ob ich gescheiter worden wär‘.
Dasein ist mir kurz geliehen.
Muss den Gürtel enger ziehen!

Faden durch des Nadelöhres Enge
zieh ich, roten Faden nicht verlierend.
Zieht der Koch den Strudel in die Länge,
zieht der Juwelier auf Schnüre – zierend –
Perlen, Weber goldnes Garn beizeiten,
Geigenbauer Instrument auf Saiten.

Innenarchitekt zieht die Gardinen
vor die Fenster, zieht Designer Jacken
über Modekleider in Kabinen,
zieht Chirurg die Fäden, die da zwacken,
damit sie vom heilen Fleisch sich trennten,
nach Operation aus dem Patienten.

Züchter ziehen Hunde groß, dressierte,
ziehen die verzog’nen an der Leine.
Mundschenk an den Hof zog, dort servierte,
nicht den Mund verziehend, er das Feine,
das die Feinen, die sich ganz vergaßen,
unerzogen sich in sich rein fraßen.

Playboys zogen teure Yacht ans Land,
einen geilen Hasen auszuziehen.
Wer liquid noch eine Bank sich fand,
konnte darauf Blanko wechsel ziehen,
ohne dass zur Rechenschaft sie ziehen
jene, die Verantwortungen fliehen.

Die Gedanken durch die Träume zogen,
als im zögerlichen Morgendämmern
Tag heraufzog übern Himmelsbogen,
unverzüglich anfing, einzuhämmern
mir, dass ich noch gar nicht ganz verloren.
Wach zu sein, zog ich mich an den Ohren.

Zog mich aus dem Bett dann auch am Schwanz,
zog, mich waschend, vor das Wasserbecken,
zog, Gesicht im Spiegel, lächelnd ganz,
Wasser durch die Zähne, die da blecken,
weil ich sonst nichts mehr zu lachen hätt‘.
Eitel zog ich Scheitel mir adrett.

Fünf Minuten hat der Tee gezogen,
goss ich eine Tasse mir schon ein.
Butter zog ich auf das Brot mit Rogen,
zog das Frühstück gierig in mich rein,
zog, nachdem das Frühstück ich geschlemmt,
mich bequem an: Weste übers Hemd.

Strümpfe, Wasser ziehend, zog ich an,
zog dann die verzogenen noch glatt,
zog die Taschenuhr, den Talisman,
auf, drauf stolz, dass eine Uhr ich hatt‘.
Zog in Zweifel, dass es zehn Uhr nur,
zog Vergleich mit Stubenpendeluhr.

Zog nun unzufriedene Grimasse,
die verriet, dass ich noch nicht unsterblich.
Unverzüglich den Entschluss ich fasse,
was ich schreibe, bleibe, als wär’s erblich.
Zieh den Bleistift, Linie aufs Papier,
drunter schreib ich Ungezog’nes hier:

„Statt der Nacht der schlechten Texte sorgen,
ohne dass es Zauberstabs bedarf,
gute Texte für ein bess’res Morgen.
Mit den schlechten sind wir damit scharf.“
Doch der nächste Satz, der zog sich, zog,
bis ich dann an meiner Pfeife sog.

Wolken, die da übern Himmel zogen,
die ihn, überzogen, übersteigen,
seh ich. Euch, die lang mich aufgezogen,
sag ich, euch werd‘ ich es schon noch zeigen!
Setz mich hin, beginn, will Schreiben wagen,
weiß ich auch noch nicht, was ich zu sagen.

Doch ich sag mir, dass will schon was sagen,
wenn ich mich hinsetze, was zu schreiben,
noch von dem Gedankengang getragen:
Schreib ich etwas oder lass ich ‘s bleiben?
Leicht gesagt, doch schwer getan zunächst:
Schreib ich einfach einen guten Text?

Mein Gefühl sagt, dass ich es versuchen soll.
Soll noch einer sagen, dass ich nicht bemüht!
Mein Verstand sagt vorerst gar nichts, ist nur toll.
Er versagt und sagt mir, es sei noch verfrüht,
Meinung, die ich sagen will, mir abzuringen,
unvermeidlich leidlich auf Papier zu bringen.

Das hat sicher was zu sagen, wenn mir ’s frommt,
plötzlich etwas festzuhalten, auszudrücken,
da mich das Bedürfnis dazu überkommt,
weder meine Feder schnell zu zücken
noch vor der Erkenntnis mich zu drücken eben,
jeden Eindruck, der mich drückt, auch preiszugeben.

Ist dagegen nichts zu sagen, vorzubringen,
ist damit noch lang nicht endgültig gesagt,
dass es nicht mit wenig Worten könnt‘ gelingen,
viel zu sagen, auch wenn niemand danach fragt.
Ich kann euch nur sagen, und das nicht zu knapp:
„Wartet doch, was ich zu sagen habe, ab!“

Wer kann schon dasselbe von sich sagen?
Dass er, sich selbst zu verwirklichen, bestrebt!
Meist erfasst ihn nämlich Unbehagen,
weil ihn das auf eine höh’re Eb’ne hebt.
Es bedarf, auf alles was zu sagen, Mutes.
Wie gesagt – wer das auch immer sagt –, wer tut es?

Auch wenn mir die Fragen Großteils gar nichts sagen,
bin ich doch um keine Antwort je verlegen.
Sagen dürft‘ ich ‘s nicht, doch denken mir, verschlagen:
Schon beim Sagen sollten Zweifel sich mir regen!
Das will ich mir überhaupt nicht sagen lassen.
Solche Unaufrichtigkeit könnt‘ ich nicht fassen.

Auch wer nichts zu sagen hat, darf etwas sagen,
denn für keinen Ausspruch ist es je zu spät.
Selbst wenn mich die meisten nicht mehr hinterfragen,
zeig ich – unerwartet – doch Aktivität.
Was bloß werden sie erst sagen, wenn sie lesen,
was ich, über sie zu sagen, frech gewesen?

Wer sagt schon, welch Talente in ihm stecken?
Auch ich, befähigt zu manch Sagenhaftem,
weiß nicht, wie die Begabungen erwecken,
zu Unerfülltem, bisher Ungeschafftem.
Sollt‘ ich mit bloßem Durchschnitt mich begnügen?
Wenn ich was andres sagte, müsst‘ ich lügen!

Ich sag es offen, mich interessieren,
die Komplimente machen, Schmeicheleien
erfinden, Honig um den Mund mir schmieren,
so gar nicht! Darf doch ohne Sticheleien
und Grobheit, Bosheit alles das erörtern,
anstatt mit Lügner zeihenden Schimpfwörtern.

Die sollten sich, sag ich, bei mir bedanken,
dass ich mit ihnen mich beschäftige,
die’s nicht verdienen, dass trotz allem Schwanken –
was soll ich sagen? – ich bekräftige,
ich wollt‘ nur einen guten Text verfassen,
was nicht sagt, sie erfassten ihn gelassen.

So könnte ich noch lange weiterschreiben,
wenngleich noch vieles ungeschrieben bliebe.
Drum lass‘, da ich ’s erfass‘, es lieber bleiben,
weil ich sonst mehr und immer mehr noch schriebe.
Nicht schlechter schrieben die, die niemals schrieben.
Der Wunsch ist groß, dass schreiblos sie geblieben.

Sie denken bloß, dass sie was los wohl hätten.
Sie sollten sich in Demut hüllen, schweigen
und sich verschämt in dichtes Schweigen betten.
Sie machten die Erkenntnis sich zu eigen:
„Kein Text ist schlecht genug!“, wenn’s ihnen auch nicht lieb.
Der beste Text bleibt der, der ungeschrieben blieb!“

H. H. HADWIGER